Alto AdigeSouth Tyrol

„Es tut uns allen gut, wenn wir die Regeln für ein gutes zivilisiertes Leben festlegen.“ Das habe ich mal in einem Buch über Republikanertum, also über die Verfassung gelesen. Auch wenn der Autor dieser Theorie irgendwann gemerkt hat, dass etwas fehlt: das Gefühl der Zugehörigkeit hängt auch mit Leidenschaft und Emotionen zusammen. Daher reicht am Ende das, an sich richtige, Festlegen der zu respektierenden Regeln wohl kaum. Jener Politologe sah Südtirol als ein Land, wo ein gewisser identitätsstiftender „Kitt“ im Übermaß vorhanden ist: Dieser Kitt war für ihn die Umwelt, der Schutz eines Naturerbes, als Grundlage von Identität und Zugehörigkeitsgefühl. Ich glaube, dass diese charakteristische Eigenschaft des Landes als Identitätsmerkmal geltend gemacht werden kann, wohl weniger im Sinne einer erzwungenen ethnischen, als vielmehr in dem einer  zivilisierten und bürgerlichen Identität.

Giorgio Mezzalira, Stammtisch II, 27.10.2010


Die deutsche Zibaldone (Anm. d. Red. Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart) ist vor drei Monaten erschienen; sie ist eine halbjährliche Zeitung über Italien, und in dieser Ausgabe ist Südtirol das Thema. Südtirol dargestellt als dreisprachiges Land, mit reicher interkultureller Vergangenheit; Land in Bewegung, interessiert an der Frauengeschichte; Ort des Kulturkontakts und nicht des Kulturkonflikts; Universitätsstadt, die Jugendliche und Intellektuelle an sich bindet; mit einer Dokumentarfilmschule, avantgardistischer Architekturszene, die auch Touristen anzieht. Zuversichtlich, dass Bozen zum 100-jährigen, 2019 Kulturhauptstadt werden wird. Die Journalisten sind zu viert für ein paar Tage angereist, und haben anscheinend sehr schnell kapiert – positiv kapiert.

Waltraud Mittich, Stammtisch III, 30.10.2010

 

Es gibt wenig Menschen in Südtirol, die ihren Standpunkt öffentlich vertreten.

Stefan Nicolini, Stammtisch III, 30.10.2010

 

Ich habe also das Gefühl, dass wir uns immer gerne etwas fern halten und dass wir ein wenig Angst davor haben, im Zentrum von irgendwas zu stehen. Auch ich habe manchmal Unwohlseins-Symptome und versuche mich dann von hier zu distanzieren, auch wenn das eigentlich die falsche Einstellung ist. Ich glaube, dass wir uns in diesem Grenzgebiet eigentlich ganz wohl fühlen, weil wir uns so immer am Rande von irgendwas anderem sehen können. Auch Magris (A.d.R.: Claudio Magris) beklagt im Kapitel der Zeitschrift Microcosmi über Antholz die Fixierung auf die Grenze, den „Grenzfetischismus“, der viele südtiroler Literaten dazu führte, selbst Kaser (A.d.R.: Norbert Conrad Kaser), mit ihrem Wechseln der Sprachen schlussendlich die Grenze hervorzuheben, anstatt darüber hinweg zu gelangen. Das erinnert mich sehr an Langers Kritik (A.d.R.: Alexander Langer) an diesem Verhalten, wo die „ethnische“ Grenze überschritten wird, nicht um sie abzutragen, sondern um sie zu unterstreichen, wobei man Rollenspiele spielt und die Eigenschaften der anderen Kultur nachäfft.

Valentino Liberto, Stammtisch III, 30.10.2010



Denn für den „Italiener“, der woanders herkommt, aus Grenzgebieten, stellt sich die Frage nach der ethnischen oder sprachlichen Zugehörigkeit gar nicht, und somit fühlt er sich auch nicht einer Gemeinschaft oder einer Gegend zugehörig. Vielleicht stellt sich in diesem Sinne für ihn nicht mal die Frage der eigenen Identität. Kommt der „Italiener“ hier her, und sieht die Sprachgruppen – deutsch, italienisch, ladinisch - , dann hat er das Gefühl, sich „definieren“ zu „müssen“, er muss sich plötzlich eine Identität schaffen, was er sonst nicht tun würde. Das ist nicht unbedingt negativ, aber es ist schwierig. Und es ist sicherlich symptomatisch für die Möglichkeiten und Grenzen die sich hier bieten. Ja, es ist wie ein begrenzter Raum, der durch immer wiederkehrende Klischees definiert ist.

Gast, Stammtisch III, 30.10.2010

 

Achtung, was bedeutet denn „Südtiroler“ oder „Italiener“ […]? Martina ist Südtirolerin italienischer Muttersprache.

Bianca Elzenbaumer, Stammtisch III, 30.10.2010

 

Ich bin echt verärgert, über die dummen Leute... Hier in Südtirol dreht sich alles immer um das Problem der sprach-ethnischen Gruppen, also der Sprachgruppen und auch ethnischen Gruppen. Sie sind Machtinstrumente geworden und sollen das wohl auch bleiben, damit die Aufteilung von Posten und Reichtum funktioniert. Das ist das Paradox der hiesigen Politik, die die Trennung der Gruppen aufrecht erhalten muss, damit die Aufteilung der Ressourcen bestehen bleibt. 

Gast, Stammtisch III, 30.10.2010